Das erste grosse Buch über den Schweizer Künstler Aldo Mozzini lässt 40 Jahre von Mozzinis Karriere Revue passieren und greift verschiedenste Aspekte seines humorvollen wie poetischen Schaffens auf. Die Monografie zeigt seine vitale Kunst, malerische und grafische Arbeiten sowie Skulpturen und Installationen – abgerundet durch Texte bekannter Schweizer Kurator:innen und einem Gespräch mit dem Künstler selbst.
Aldo Mozzini (*1956 in Locarno) lebt und arbeitet seit den 1980er-Jahren in Zürich.
Seine Werke werden in Galerien und Museen in der Schweiz, Italien und Frankreich gezeigt, 2012 und 2019 wurde er mit dem Swiss Art Award ausgezeichnet.
Herausgegeben von Casa Rusca Locarno
Kuratiert von Noah Stolz
Gestaltet von Nicolas Polli
Texte von Alexandra Blättler und Noah Stolz
In Kooperation mit Edizioni Casagrande
Verlag Scheidegger & Spiess
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CASEMATTE – Ausstellung und Booklaunch im Kunstraum Walcheturm, Zürich
Susanna Koeberle
Fast Architektur: die Arbeiten von Aldo Mozzini
Das Wort «quasi» (fast): Es taucht im Werk von Aldo Mozzini immer wieder auf. Mit diesem Zusatz ergänzt der Tessiner Künstler (*1956 in Locarno) die Titel mehrerer Werke. Aber auch die Ausstellung «Quasi una retrospettiva» im Museo Casa Rusca in Locarno, die bis Ende Februar dieses Jahres zu sehen war, wurde dieses Attribut zuteil. «Quasi» ist gerade in seiner Einfachheit und Bescheidenheit ein beredtes Wort, wenn es darum geht, das Werk dieses Künstlers einzuordnen. Es kann zunächst als Form der Zurückhaltung verstanden werden. Denn Mozzini und seine Kunst sind eines nicht: laut. Seine künstlerischen Interventionen sind auf stille Art aussagekräftig. Was nur «fast» etwas ist, befindet sich in einer Art Limbus – einem Vorraum oder einer Vorhölle eben, wie der lateinische Begriff zu übersetzen ist Man könnte auch von einem liminalen Ort sprechen. Mozzinis bevorzugter Ort ist gleichsam der Rand. Von dieser abseitigen Position aus beobachtet und kommentiert er seine/unsere Lebenswelt. Mit seiner Kunst stört er diese zugleich. Dadurch kreiert er ungewohnte Situationen, die unsere Wahrnehmung herausfordern. Dass dies durch alltägliche und vertraute Formen und Materialien geschieht, verstärkt ihre Wirkung sogar. Das ist paradox. Es ist, als ob Mozzini nur «fast» Kunst machen würde, um genau damit ins Schwarze zu treffen. Nämlich Kunstwerke zu erschaffen, die durch die Verfremdung des Bekannten berühren und aufrütteln.
Mit der Darstellung eines «Randortes» begann 1994 eine zentrale Werkreihe im Schaffen des Künstlers: «Das schwarze Haus (das Zollhaus)» ist aus rudimentären und vorgefundenen Materialien erbaut und erinnert an eine prägende Baute aus seiner Kindheit, eben das Zollhaus. Aldo Mozzini ist der Sohn eines Zöllners; Grenzen und das Unbehagen, das sie auslösen können, gehören insofern zum Grundstock seines künstlerischen Vokabulars. Das dunkle Bauwerk hat etwas von einem banalen Geräteschuppen, strahlt aber zugleich etwas Unheimliches aus. Dieses Werk markiert zugleich den Übergang von der Malerei ins dreidimensionale Arbeiten, den Mozzini damals vollzog. Architektonische Strukturen oder an Designobjekte erinnernde Skulpturen zu machen, hängt mit Wunsch des Künstlers zusammen, Kunst zu machen, die zugänglich sein soll. Schliesslich sind Häuser und Möbel etwas, das wir alle kennen. Noah Stolz, der die Retrospektive in Locarno kuratiert hat, sieht in diesen Werken als Architektur getarnte Portraits. Die Häuser stellen je nach Kontext unterschiedliche Aspekte unseres Daseins dar. Der Tessiner Kurator nennt sie im gleichnamigen wunderbar gestalteten Buch, das vor Kurzem erschienen ist, «casematte». Dieser Begriff stammt aus dem Militärjargon – auf Deutsch spricht man übrigens ebenfalls von Kasematten – und bezeichnet ein vor Artilleriebeschuss geschütztes Gewölbe im Festungsbau; der Ausdruck kann aber auch als Häuser getarnte Bunker benennen. Während das Wort «casa» klar abzuleiten ist, bleibt der Ursprung des zweiten Wortteils unklar. Fest steht allerdings, dass er etymologisch nichts mit «matto» im Sinne von verrückt zu tun hat. Doch genau das sind Aldo Mozzinis Bauten: ver-rückte Häuser, «case matte».
Ihre Ver-rücktheit ist eine zweifache und betrifft zunächst ihre materielle Beschaffenheit. Denn nicht nur bestehen Mozzinis Bau-Werke aus entsorgten, also nicht mehr funktionstüchtigen Materialien, sie setzen sich auch formal aus Fragmenten zusammen. Daraus ergibt sich ein besonderer Ausdruck, der zwischen potenzieller Bewohnbarkeit und Schutzfunktion auf der einen sowie gespenstischer Fremdheit und Feindseligkeit auf der anderen Seite schwankt. Genau diese Ambivalenz kling auch im Wort «casematte» an. Und es ist dieser widersprüchliche Charakter zwischen archetypischer Urhütte und sperrigen Anti-Häusern, der diese Häuser zu irritierenden und zugleich die Sinne und Gedanken anregenden Objekten macht. Gerade ihre materielle Widerspenstigkeit initiiert einen Dialog mit den Betrachtenden und ihrer Umwelt. Materie ist für uns Menschen ein blinder Fleck: Weil wir tagtäglich mit ihr interagieren, nehmen wir sie als gegeben und übersehen sie deswegen. Mozzinis Arbeiten konfrontieren uns mit diesem Widerspruch. Seine zu Kunst transformierte Materie wird damit zum Ausganspunkt von mannigfaltigen Reflexionen. Dazu gehört auch die Frage, was die Architektur, in der wir wohnen, mit uns macht.
Umgekehrt widerspiegeln die Objekte oder – architektonisch ausgedrückt – die Baukörper, die uns hier als Kunstwerke begegnen, die langjährige Auseinandersetzung des Künstlers mit seiner alltäglichen Umgebung sowie mit allgemeinen existenziellen Themen. Davon zeugt etwa seine Praxis des Zeichnens und Schreibens, die dank der erwähnten Publikation nun erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Die tagebuchartigen Hefte entstehen klandestin, sie sind eigentlich nicht für die Augen eines Publikums gedacht. In den sogenannten «Secret Books», entstanden zwischen 1986 und 1994, sowie den «Cahier noirs» (2004 – 2023) lässt sich ein stilles Zwiegespräch des Künstlers mit seinem Alltag ablesen, in dem er seinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Beim Blick auf diese häufig durch Worte ergänzte Zeichnungen erscheinen diese privaten Skizzen allerdings nicht als etwas Hermetisches oder Unverständliches, sondern als poröse Membran, die zwischen Innen- und Aussenwelt vermittelt.
So gesehen gleichen sie Mozzinis dreidimensionalen Häusern. Diesbezüglich möchte ich nochmals eine Besonderheit dieser Arbeiten betonen, die sich auch in anderen Werkgruppen wiederfindet. Es geht dabei um den Aspekt des Materiellen an sich. Da der Künstler stets mit bestehenden und vorgefundenen Materialien arbeitet, nimmt der spezifische Charakter der Werkstoffe eine besondere Stellung ein. Die Materia prima dient ihm gleichsam als Gegenüber. Als Widerstand, mit dem er in einen Dialog tritt. So schleicht Aldo Mozzini regelmässig um Mulden herum und sucht sich darin das eine oder andere Fragment aus, um es später in seine architektonischen Assemblagen zu verarbeiten. Andere Materialien wie etwa alte Lumpen, die bei seiner Arbeit mit der Technik des Druckens anfallen, sammelt er seit dreissig Jahren. Bis er diese Materie 2018 mit «Quasi cani» (fast Hunde) zu neuem Leben erweckte. Ausgangspunkt war dabei eine Information, die diese ausgedienten Textilien in sich tragen – und zwar eine simple Geste. Seine liegenden Hunde-«Skulpturen» entstanden nicht, weil der Künstler besonders hundeaffin ist, sondern weil er eine Analogie erkannte in der Art und Weise, wie Hund und Lumpen materiell mit Menschen interagieren: über eine streichende Bewegung. Diese wird sowohl beim Verstreichen der Farbe vollzogen als auch beim Streicheln. Als er über diese Geste nachdachte, kam ihm das fast unbewusste Streicheln eines Hundes in den Sinn. Der Hund verkörpert gleichsam eine Form, wie Materie, Mensch und nicht-menschliche Wesen in Beziehung zueinander treten. Genau diese feinstofflichen osmotischen Vorgänge macht Mozzini in seiner Kunst sichtbar. Vielleicht müsste man ihn als Vorsokratiker bezeichnen, als Heraklit der Neuzeit. Mitunter könnte man sein Wirken auch mit der philosophischen Strömung des «New Materialism» in Verbindung bringen. Diese hinterfragt den menschlichen Exzeptionalismus und versucht damit zugleich, Antworten auf die aktuelle ökologische Krise zu geben. In Aldo Mozzinis Architekturen fungieren materielle Konfigurationen als Mittler zwischen Innen und Aussen. Mensch und Materie erscheinen als Teil von etwas Grösserem. Aldo Mozzinis Häuser sind Ausdruck dieser engen Verbindung.